15/01/2007

Pappenheimers Propaganda

Ein Gespräch mit bedrohten Wörtern

In den stillen Winkel eines antiquierten Buches hatten sich Pappenheimer und Pfennigfuchser verdrückt, als ich sie zuletzt traf. Gleich beim ersten Lesen machten sie einen niedergeschlagenen Eindruck; gaben ihre Depression auch sofort zu. «Traun!», riefen sie unisono, und da ich verständnislos guckte, schob Pappenheimer vorsorglich eine Übersetzung nach: «Fürwahr!» Meinen Kommentar, auch diese Wortwahl töne ziemlich altertümlich, quittierte er mit einem Seufzer. Er wies hinüber in die Abteilung G, wo die Kollegen Grisette, Galan und Gendarm aschgrau auf dem Boden hockten. Irgendwie angestaubt sahen sie aus. «Das ist ja unser Problem», meinte Pappenheimer. Kaum jemand benutze sie noch. Zwar seien sie viel distinguierter im Munde zu führen als die neudeutschen Äquivalente, doch dürfe man sich nichts vormachen: Sprachsoziologisch betrachtet, seien sie schlimmer dran als das abgehängte Prekariat. Ein Dasein ohne Perspektive. Wiederbelebung ausgeschlossen.

Mein aufmunternder Hinweis auf die jüngste Initiative des Sprachdenkmalpflegers Bodo Mrozek verfing nicht. Seit Mrozek in zwei Bänden sein «Lexikon der bedrohten Wörter» vorgelegt habe, fühle er sich wie endgültig eingesargt, knurrte Pappenheimer. Und dann noch dieser öffentliche Wettbewerb im Internet, bei welchem bis Ende Februar jeder hergelaufene Naseweis einen unmassgeblichen Vorschlag für ein bedrohtes Lieblingswort einreichen könne. Ihm sei ganz blümerant zumute, wenn er sich auf jener Liste stehen sehe, eingezwängt zwischen Pantoffelheld und Pappenstiel, und im weiteren Umfeld gesäumt von ephemeren Szene-Ausdrücken wie «Pogo» und «Popper», die doch, mit Verlaub, in eine ganz andere Liga gehörten. Einen Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» habe er kürzlich auf diese Missverhältnisse hingewiesen, fuhr Pappenheimer, ein Grinsen unterdrückend, fort, und dieser sei denn auch entschieden kritisch mit der Website www.bedrohte-Woerter.de ins Gericht gegangen, habe die Betreiber ob ihrer Taubheit für Nuancen gerüffelt und Falschmeldungen wie das zwar in seiner Bedeutung veränderte, aber gewiss nicht gefährdete Allerweltswort «geil» angeprangert.

Ob er derlei nun auch von mir verlange, wollte ich wissen. Pappenheimer blickte verschmitzt. Die NZZ gelte doch als gebildetes Blatt, meinte er mit einer Wendung ins Vertrauliche. Was ein Ceterum censeo sei, wisse ich dann ja wohl. Sollte mir wirklich daran gelegen sein, ihn nachhaltig aufzumuntern, dann müsse ich eben künftig im Feuilleton den Cato geben. Nein, nicht um zur Vernichtung der Neologismen aufzurufen, welche heuer die alten Wörter von ihren Plätzen verdrängten. Das sei völlig zwecklos, denn die Wörter änderten sich ja auch deswegen, weil sich die Welt verändere. Andere Dinge, andere Namen. Aber jemanden wie ihn gebe es immer. Wenn ich nun jeden meiner Artikel mit dem Ausruf «Ich kenne meine Pappenheimer!» beschlösse, sei das für mich völlig ungefährlich, für ihn aber eine grosse Hilfe. Er sah mich drängend an. Ich schlug das Buch eilig zu.

Joachim Güntner in der NZZ.

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